Interview mit Dr. Friederike Vinzenz
Die Kommunikation von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen stellt für Kunden, Kundinnen und Gäste häufig ein großes Durcheinander dar, bei dem viele Fragezeichen zurückbleiben. Dabei könnte es zumindest einfachER sein! Im Gespräch mit Dr. Friederike Vinzenz, der Gründerin von RoomFor, gehen wir einer erfolgreichen Nachhaltigkeitskommunikation auf den Grund und erläutern, welche Bestandteile dabei nicht fehlen dürfen. Friederike ist wissenschaftliche Beraterin für Nachhaltigkeitskommunikation und Datenanalystin, eine regelmäßige Teilnehmerin beim “Sustainability in Hospitality Panel” auf HospitalityNet sowie promovierte Kommunikations- und Medienexpertin an der Universität Zürich.
Eins ist sicher: Bei der Anzahl von “eco” Siegel, Zertifikaten, Zeichen, Aussagen und Versprechen wirkt das Angebot von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen schnell überfordernd. Die glaubhafte Vermittlung von Nachhaltigkeit ist somit eine ernst zu nehmende Herausforderung, die Friederike in ihrer Arbeit erforscht. Kunden und Kundinnen erfahren über die Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen entlang verschiedener Touchpoints. Deshalb müssen diese Touchpoints analysiert und bewusst gestaltet werden, um entsprechende Botschaften zu platzieren. Hierbei spielt insbesondere die Glaubwürdigkeit von Informationen eine große Rolle, um Kunden, Kundinnen und Gäste für sich zu gewinnen. In unserem Gespräch beantwortet Friederike fünf Fragen und gibt Antworten, die richtungsweisend bei der Vermarktung von Nachhaltigkeit sind.
Was verstehen Gäste unter Nachhaltigkeit?
Vorwiegend assoziierten Gäste Nachhaltigkeit mit Klimawandel und Umweltschutz. Dabei werden die sozialen Aspekte der nachhaltigen Entwicklung weniger Beachtung geschenkt und ökonomische Zielsetzungen oft als Kontrast zu ökologischer Nachhaltigkeit gesehen. Um Klarheit zu schaffen, ist es wichtig, transparent übergeordnete Nachhaltigkeitsziele und konkrete Maßnahmen zu kommunizieren.
Wie lassen sich auch Zielgruppen für Nachhaltigkeit gewinnen, die sich nicht als “Ökos” definieren?
Gäste, Kundinnen und Kunden weisen unterschiedliche Werthaltungen und Persönlichkeitsmerkmale auf, die ihr Handeln und ihre Vorlieben bestimmen. Bisher haben sich Marketingstrategien mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit häufig auf Zielgruppen fokussiert, die sich durch humanistische und universalistische Werte definieren. Zu einem gewissen Grad tragen diese Merkmale alle Menschen in sich, doch gibt es auch Personengruppen, die sich stärker durch eine macht- und zielorientierte Werthaltung leiten lassen. Häufig werden diese Personengruppen bei der Vermarktung von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen außer Acht gelassen. Um jedoch alle Zielgruppen anzusprechen, ist es wichtig, auf den persönlichen Mehrwert von Nachhaltigkeit hinzuweisen. Dabei ist es das Geheimnis, ein emotionales Wohlbefinden bei Gästen, Kundinnen und Kunden hervorzurufen. Eine positive Kommunikation ist wichtig. Wir müssen wegkommen von Angstappellen und Verzichtaufrufen.
Was ist ein solcher durch Nachhaltigkeit erzeugter Mehrwert?
Das “Problem” bei nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen ist, dass auf den ersten Blick kein direkter persönlicher Nutzen beim Kauf oder bei der Buchung erkennbar ist. Dabei legt ein durchschnittlicher Gast bei nachhaltigeren Produkten – wie bei allen anderen Produkten auch – Wert auf einen materiellen oder emotionalen Zugewinn. Ich konnte mit meiner Forschung zeigen, dass der persönliche Mehrwert von nachhaltigen Produkten auf einem “sich gut fühlen” basiert; also ein emotionaler Vorteil mit dem teilweise höherpreisigen nachhaltigen Produkt erworben wird. Dieses mentale Wohlbefinden, im Englischen auch “well-being” genannt, lässt sich auf verschiedenen Ebenen nachweisen und hat je nach Person unterschiedliche Ursprünge. Das Bewusstsein darüber andere Menschen zu unterstützen und einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, kann ein gutes Gefühl bei Kunden und Kundinnen auslösen. Gleichwohl das Wissen, nach sozialen, von der Gesellschaft anerkannten Normen zu handeln und sich mit seinem Handeln in einem Mehrheitstrend zu befinden. Die Kommunikation muss je nach Zielgruppe auf die eine oder andere Art das subjektive Wohlbefinden triggern, um Gäste zu überzeugen und somit wirkungsstark zu sein.
Wie können Nachhaltigkeits-Appelle in die Kommunikation von Nachhaltigkeit integriert werden?
Eine gelungene Nachhaltigkeitskommunikation muss drei Punkte erfüllen:
1) Die Kommunikation muss verständlich sein. Was genau ist nachhaltig an dem Produkt oder der Dienstleistung? Man sieht zum Beispiel Werbeslogans wie “jetzt noch nachhaltiger, noch saisonaler”. Was soll das denn genau bedeuten? Wie kann etwas noch nachhaltiger sein und erst recht, wie funktioniert noch saisonaler? Kunden und Kundinnen müssen darüber informiert werden, was die Nachhaltigkeitsattribute bei spezifischen Produkten und Dienstleistungen sind.
2) Die Kommunikation muss den Mehrwert aufzeigen. Was für einen persönlichen Nutzen bringt der Nachhaltigkeitsaspekt? Wenn kommuniziert wird, was im Rahmen der Nachhaltigkeit unternommen wird – beispielsweise setzt das Hotel sich für die Förderung der Biodiversität ein – dann sollte auch dargelegt werden, was dies für konkrete Mehrwerte für die Hotelgäste bringt. Nämlich z. B. ein idyllische, entspannende und für Urlaubsfotos geeignete Umgebung. Das heißt, man kommt weg von der reinen Informationsvermittlung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen, hin zu einer nutzenorientierten Kommunikation.
3) Die Kommunikation muss aufrichtig sein. Wird in Sachen Nachhaltigkeit auch wirklich das gehalten, was versprochen wird? Besonders durch das publik werden von Nachhaltigkeitsskandalen sind viele Konsumenten und Konsumentinnen sehr kritisch gegenüber Werbebotschaften über Nachhaltigkeit geworden. Für sie scheint jeder nachhaltig sein zu wollen, mit vorgetäuschtem Engagement. Ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell der nachhaltigen Entwicklung widerspricht, ist unglaubwürdig, auch wenn es sich stark in Nachhaltigkeitsprojekten engagiert. Eine sogenannte kognitive Dissonanz entsteht bei den Rezipienten und Rezipientinnen, die es gilt aufzulösen. Nicht selten resultieren daraus sogenannte „Shitstorms“ oder andere negative Schlagzeilen. Diese Firmen müssen besonders stark daran arbeiten, ihr Engagement glaubhaft darzulegen, und den wahrgenommenen Widerspruch nicht verschweigen.
Wie kann abgesehen von Nachhaltigkeitssiegeln und -zertifikaten Vertrauen aufgebaut werden?
Die Wirksamkeit von Nachhaltigkeitssiegeln und Zertifizierungen ist besonders in der Tourismusbranche zu hinterfragen. Unterschiedliche Richtlinien, Prüfungsverfahren, Implementierungsvorschriften und Beteiligungsprozesse sowie einer Vielzahl von verschiedenen privaten und gemeinnützigen Akteuren resultieren in einem Überangebot mit mangelnden internationalen und übergreifenden Richtlinien. Dieses Chaos verhindert die Effektivität von Gütesiegeln und überfordert nicht selten Kundinnen, Kunden und Gäste. Solche Siegel sollten begleitend oder ergänzend zur allgemeinen Kommunikationsstrategie aufgeführt werden. Wichtig ist, verständlich und ehrlich zu kommunizieren und den persönlichen Mehrwert von Nachhaltigkeit darzulegen. Wir sind es gewohnt, dass Werbemaßnahmen uns “etwas verkaufen” wollen. Dabei wird dargestellt, welchen Mehrwert Konsument:innen von der Verwendung eines Produkts oder einer Dienstleistung erhalten. Wenn jetzt plötzlich vermittelt wird, dass von Verbraucher:innen- wie auch Konsument:innenseite völlig uneigennützig ein Produkt gekauft werden sollte, dann ist dies schlichtweg unglaubwürdig.
Zusammenfassung:
- Die Verständlichkeit von Nachhaltigkeit ist essentiell: Kunden und Kundinnen müssen über die Nachhaltigkeitsattribute von Produkten und Dienstleistungen informiert werden.
- Die Mehrwerte von Nachhaltigkeit sollten im Mittelpunkt der Kommunikationsstrategien liegen: Was für einen persönlichen Nutzen können Kunden und Kundinnen aus Nachhaltigkeit ziehen?
- Aufrichtigkeit bei der Kommunikation von Nachhaltigkeit ist erfolgsentscheidend: Unternehmen müssen ihr Nachhaltigkeits-Engagement glaubhaft darlegen um Widersprüche zu vermeiden.
- Marketingstrategien sollten gleichzeitig Gäste über Nachhaltigkeit informieren und ein gutes Gefühl hervorrufen.
Autorin: Charlotte Opatz / Interview geführt von: Franziska Altenrath
(©Header Foto von Lina Trochez auf Unsplash)