Name: Antje de Vries
Beruf: Connecting people through food, Teil der F&B Heroes
Kontakt: LinkedIn
Intro: Köchin, Kochbuchautorin, Ernährungsökonomin, Pionierin, Idealistin, Fermentationsspezialistin. Das und noch vieles mehr ist Antje de Vries, die in ihrem Leben eine Mission verfolgt: Connecting people through food. Im November hatten wir das große Glück, uns mit ihr auf einen #CheckInMit treffen zu können. Wenn Du wissen willst, wo Antje unsere Branche in der Zukunft sieht, warum es nichts schöneres als die Gastro für sie gibt und was Zitronen mit Glückseligkeit zu tun haben, dann solltest Du diesen Check In Mit Antje de Vries lesen.
Gastronomie und Nachhaltigkeit sind wie… Sonne und Mond. Sie sind eng miteinander verbunden und abhängig voneinander. Die Gastronomie ist der Mond, denn ohne Sonne kein Mond, und ohne Nachhaltigkeit keine Gastronomie. Aber auch die Gastro kann viel bewirken, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Aufgabe unserer Branche sollte es sein zwischen Natur und Gast zu moderieren. Früher war das die Regel und der Bezug von regionalen Lebensmittel war quasi ein Selbstverständnis. Tatsächlich war es häufig so, dass die Gastwirt:innen die Erträge vom eigenen Land direkt auf den Tisch gebracht haben. Heutzutage ist das leider anders, und ich finde es erschreckend, wie wir unser Wohl in die Hände der Industrie gegeben haben. Dabei ist viel wichtiges Wissen rund um Erzeugung und Verarbeitung verloren gegangen.
Welche Hürden zu mehr Nachhaltigkeit in der Gastronomie sind schwer zu überwinden? Ohne abschätzig klingen zu wollen, liegt es meiner Meinung nach vor allem an den Konsument:innen/ Gäst:innen und ihrer Denk- und Verhaltensweise. Denn eine der größten Hürden ist auf jeden Fall die geringe Preisbereitschaft, die mitunter durch die Industrie und ihre Produkte geformt wurde. Vielen Menschen ist schlichtweg nicht bewusst, wie komplex es eigentlich ist, eine wirklich gute Gastronomie zu führen und gute Produkte zu verwenden. Und diese Komplexität betrifft nicht nur die Speisen sondern auch das Unternehmerische, denn die Gastro ist auch wirtschaftlich gesehen ein facettenreiches Konstrukt. Ich würde mir also für die Zukunft wünschen, dass das bei den Konsument:innen ankommt und unsere Branche mehr Wertschätzung erfährt. Meiner Meinung nach gibt es nämlich nichts schöneres als Gast zugeben, Menschen zu erreichen und glücklich zu machen. Aber dafür müssen wir als Gastronom:innen unsere Rolle als Moderatoren zwischen der Natur bzw. den Landwirt:innen und den Konsument:innen wieder aufnehmen und mehr Transparenz schaffen. Denn erst dadurch kann Verständnis und somit Wissen geschaffen werden und eine Bereitschaft den wahren Preis für Speis und Trank zu zahlen, aufgebaut werden. Hierfür braucht es viele konsequente, manchmal auch kleine Schritte. Denn wenn es darum geht, die verschiedenen Hürden hin zu einer nachhaltigeren Gastronomie zu meistern, bringt der Anspruch, sofort eine 180 Wende zu vollziehen, nichts.
Nachhaltigkeit 2010, 2020, 2030: Welche Veränderungen hast Du wahrgenommen, nimmst du aktuell wahr und was kommt noch? Ich würde die Anfänge des 21. Jahrhunderts als kulinarische Globalisierung der Gastro beschreiben. Inspiriert von den schier unendlichen Möglichkeiten der modernen Technologie und dem uneingeschränkten Zugang zu exotischen Lebensmitteln waren wir als Konsument:innen maximal unreflektiert. Das hat sich spätestens durch die Covid Pandemie geändert. Die Pandemie hat uns auf eindrucksvolle Weise unsere Grenzen aufgezeigt und zum Umdenken angeregt. Und das wiederrum hat einen intensiven Dialog mit den Konsument:innen angestoßen, der sich beispielsweise darin zeigt, dass die Umweltauswirkungen von Gerichten durch ihren CO2-Fußabdruck auf der Speisekarte von manchen Gastronom:innen zu sehen sind. Für das nächste Jahrzehnt wünsche ich mir, dass es eins des Nach- und Umdenkens wird. Ich wünsche mir, dass Produktentscheidungen noch viel bewusster getroffen werden, ein kulinarischer Wissenstransfer stattfindet und mindestens die Hälfte aller gastronomischen Gerichte vegan sind.
Das wird vor allem die Aufgabe von Köch:innen sein. Wir können mit unserem Handwerk extrem kreativ sein und tolle Kund:innenerlebnisse schaffen. Wir sollten vielmehr aufzeigen, wie schmackhaft und innovativ regionale Lebensmittel sein können. Aber nichtsdestotrotz liegt der Globalisierung auch ein wahnsinniges Potential inne, vor allem wenn es um Wissen geht. Alte Fermentationstechniken aus Asien, Lateinamerika oder der Türkei können beispielsweise auch hier in Deutschland mit unseren lokalen Produkten Anwendung finden und helfen, ganz neue Geschmackserlebnisse zu schaffen – ein kulturenverbindender, nachhaltiger Techniktransfer.
Wo kann der größte positive Impact kreiert werden? Ein großer Impact für die Gastro kann durch eine größere Wertschätzung der Lebensmittel erreicht werden – durch uns als Köch:innen aber auch durch unsere Gäst:innen. Und an dieser Stelle muss ich Paul Ivic zitieren, der einmal sagte ‘Wir haben vergessen, warum wir weiße Jacken tragen.’ Wir als Gastronom:innen müssen unsere Fürsorgepflicht und Verantwortung gegenüber den Gäst:innen wieder annehmen.
Antje de Vries kreiert positiven Impact UND zauberhafte Teller
Was würdest du ändern, wenn du die Macht dazu hättest? Dass Menschen wieder die vermeintlich selbstverständlichen Dinge im Leben schätzen lernen, wie fließend Wasser und der verlässliche Zugang zu Lebensmitteln. Ich durfte für Pfefferminzgreen e.V. nach Sierra Leone, einem der schönsten und gleichzeitig ärmsten und intensiv von Krankheiten bedrohten Länder der Welt reisen. Um die Familie mit Essen und Wasser zu versorgen muss hier sehr hart gearbeitet werden – das bringt eine völlig neue Perspektive auf unser Leben hier in Deutschland im Überfluss. Wenn wir bedachte Konsumentscheidungen treffen und unsere Lebensmittel wertschätzen und nicht verschwenden zeigen wir auch Respekt und Solidarität gegenüber unseren Mitmenschen, die aus weniger privilegierten Orten stammen als wir. Orten, die wie Sierra Leone, trotz der herausfordernden Umstände Mitmenschlichkeit, Teilen und Gastfreundschaft mit als höchste Werte verstehen. Eine Inspiration für unsere Gesellschaft und das Zusammenspiel mit der Gastronomie gerade in diesen Zeiten der Pandemie.
Welche Produkte müssten dringend für die Gastro noch erfunden werden? Da gibt es noch so vieles, was man ändern und erfinden könnte. Wie zum Beispiel praktikable Alternativen für Aluminiumfolie, Vakuumbeutel und weitere Arbeitsmittel, die unserer Umwelt und uns schaden. Aber wenn ich in mich gehe und nachdenke, wäre das wichtigste zunächst schlaue, ausgeklügelte Mehrweglösungen für die Gastro zu schaffen, sowohl für Getränke als auch für Lebensmittel. Das Schlimme ist, dass es immer noch billiger ist, alles in Einweg-Verpackungsmaterialien zu packen, obwohl die Mülltrennung einen enormen Aufwand bedeutet. Der Preis ist und bleibt einfach die treibende Kraft, deswegen müsste es eine Incentivierung für Mehrweglösungen geben.
Außerdem finde ich es problematisch, dass ein Preis immer durch Geld bestimmt ist. Mein Wunsch für 2030 lautet deswegen auch, dass Geld nicht mehr der Maßstab ist, sondern andere Maßstäbe wie bspw. Mehrwerte für Mensch und Umwelt gelten.
Was macht dich richtig zufrieden? Tatsächlich macht es mich einfach richtig zufrieden, wenn ich in einem Team Menschen durch meine Arbeit besondere Geschmackserlebnisse bescheren und sie dadurch glücklich machen kann. Es macht mich glücklich, wenn mein Essen inspirieren kann, wenn es ein sinnlicher Ausflug ist, wenn es die Fantasie anregt. Aber auch vermeintlich unscheinbare Dinge machen mich glücklich, beispielsweise eine Zitrone. Zitronen sind ein Wunder der Natur, wir können vielleicht selbstfahrende Autos bauen aber wir werden niemals eine Zitrone nachbauen können. Die Möglichkeiten, die in so einer Zitrone stecken, jetzt mal stellvertretend für alle Lebensmittel, beeindrucken mich und machen mich unglaublich glücklich. Das zeigt mir, wie wundersam und grandios unsere Welt sein kann.
Antjes Antrieb? Menschen durch besondere Geschmackserlebnisse glücklich machen!
Die Zukunft ist… Bunt und sehr geschmackvoll. Gleichzeitig auch ernst und konfliktgeladen. Wir Gastronom:innen haben Möglichkeiten, noch mehr zu bewegen. Denn gerade während der Covid Pandemie hat man gesehen, dass die Gastro ein wichtiger kulturell-sozialer Faktor und für unsere Gesellschaft von enormer Wichtigkeit ist. Dieser Verantwortung müssen wir uns wieder stärker bewusst werden und eine aktivistische oder zumindest aktive Rolle annehmen.
Mit wem sollten wir unbedingt auch mal einchecken? Da fallen mir viele inspirierende Menschen ein, und da ich gerne Frauen in unserer Branche nach vorne stellen möcht, nenne ich Anne-Cathrine Preißer als erste. Ich konnte sie in Kopenhagen durch eine glückliche Fügung kennenlernen und war sofort fasziniert. Sie ist Mitgründerin von Mushlabs und vereint Wissenschaft und Gastronomie auf eine eindrucksvolle Art und Weise. Auch Deandra Anderson, die mit ihrem Unternehmen “ebb&flow keg” gerade den Wein-im-Mehrweg-Markt revolutioniert ist eine sehr bewegende Frau. Auf der Herrenseite würde ich gerne Vincent Fricke ins Rennen bringen – gelernter Koch, Autor, Foodpreneur und Unternehmer.
Lieben Dank für das bereichernde Gespräch, liebe Antje! #CheckInMit___